Soldaten mit Ausstattung
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Bundeswehr: Debatte um Wehrpflicht

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Personalnot: Braucht Deutschland wieder eine Wehrpflicht?

Während die Politik hierzulande über die Wiedereinführung der Wehrpflicht debattiert, hat Schweden bereits 2017 die Kehrtwende gemacht. Dabei wird die Personalnot der Bundeswehr zunehmend zum Problem.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Filippa kniet im Schnee, auf ihrer Schulter ein schweres Gewehr. Mit ihrer Einheit trainiert sie in einem Wald bei Stockholm den Ernstfall. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist in der Truppe die Sorge groß vor einer Eskalation in Europa. Auch bei Filippa. "Um zu funktionieren, denke ich nicht mehr darüber nach", sagt sie im Gespräch mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers. "Es macht mir Angst, wirklich."

Die 20-Jährige ist eine von 8.000 Schwedinnen und Schweden, die sich jedes Jahr freiwillig für das Militär melden. Die Grundausbildung dauert ein Jahr. Filippa ist trotz der angespannten Situation froh, dass sie sich dafür entschieden hat. "Für mich ist das Ganze hier etwas, das Spaß macht", sagt sie. "Man macht Sport und lernt neue Leute kennen."

"Schwedisches Modell": ein Vorbild für Deutschland?

Dass Filippa so selbstverständlich zum Militär gegangen ist, liegt auch daran, dass Schweden die Wehrpflicht 2017 wieder eingeführt hat. Ähnlich wie in Deutschland hatte das Land das Pflichtjahr 2010 zunächst ausgesetzt. Da sich aber nicht genügend qualifizierte Bewerber für den Armeedienst meldeten, hat das Land ein neues Modell entwickelt: Alle Frauen und Männer eines Jahrgangs werden angeschrieben und müssen einen Fragebogen ausfüllen. Zur Musterung werden aber nur diejenigen eingeladen, die sich freiwillig melden – alle anderen können sich auch für einen Zivildienst entscheiden.

"Man erreicht Leute, die sich ansonsten nicht mit der Frage beschäftigen würden, ob sie möglicherweise Dienst bei der Bundeswehr leisten würden", sagt Carlo Masala, Verteidigungsexperte und Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München. "Das löst Denkprozesse aus." Er sieht in dem Vorgehen einen entscheidenden Vorteil. Außerdem fallen die Ausgaben für Kreiswehrersatzämter und Musterung weg.

Experte rät Bundesverteidigungsminister zu schneller Entscheidung

In Deutschland wächst offenbar das Interesse am schwedischen Modell. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, SPD, ließ sich die Details dazu erst vergangene Woche bei einem Besuch in Norwegen und Schweden erklären. Schon seit seinem Antritt im Januar 2023 blickt er besorgt auf die Personalsituation der deutschen Bundeswehr, denn aktuell fehlen laut Wehrbericht mehr als 21.000 Soldatinnen und Soldaten.

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine debattieren Politik und Experten auch hier über eine Rückkehr zur Wehrpflicht. Von Seiten des Bundesverteidigungsministeriums gibt es dazu allerdings noch keine eindeutige Festlegung. Die wäre aber laut dem Verteidigungsexperten Masala dringend nötig. "Es wäre schon sehr hilfreich, wenn das in dieser Legislaturperiode noch entschieden werden würde", sagt er. "Mit Blick auf die Überalterung der Truppe und mit Blick auf die Tatsache, dass wir es nicht schaffen, seit Jahren die Sollstärke von 203.000 Männern und Frauen zu erreichen, ist hier einfach Tempo angesagt.“

Wehrbeauftragte Eva Högl: Keine Entscheidung in dieser Legislaturperiode

Für die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Eva Högl, SPD, muss es nicht ganz so schnell gehen. Im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers spricht sie sich zwar dafür aus, zügig neue Konzepte zu diskutieren. Sie sagt aber auch: "Ich erwarte nicht, dass eine Entscheidung über ein Gesellschaftsjahr oder eine neue Wehrpflicht das Ergebnis noch in dieser Legislaturperiode sein wird.“ Es solle aber alles vorbereitet werden, damit es "hoffentlich in der nächsten Legislaturperiode losgehen kann." Es sei im übrigen Aufgabe der gesamten Gesellschaft, "unseren Frieden, unsere Freiheit, unsere Demokratie zu gewährleisten und im Ernstfall zu verteidigen, und deswegen muss da auch jeder und jede mithelfen."

Auch weniger Berufssoldaten nach Aussetzen der Wehrpflicht

An vielen bayerischen Standorten leidet man bis heute unter der Aussetzung der Wehrpflicht, wie das Beispiel Mittenwald zeigt. Dort war einst eine der größten Kasernen der Gebirgsjäger, doch die Zahl der Soldaten hat sich nach Aussetzung der Wehrpflicht deutlich reduziert. Seitdem ist auch die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten zurückgegangen.

Das gesunkene Interesse an der Bundeswehr zeigt sich auch bei einem Stand der Regionalausstellung "Wir" in Dillingen. Oberstabsfeldwebel Karl S. versucht hier, Nachwuchs für die Bundeswehr zu rekrutieren. Doch das sei schwieriger geworden. "Wir sind ein Arbeitgeber von vielen, und alle Arbeitgeber fischen natürlich im gleichen Becken, alle suchen Meister, alle suchen Techniker und wir natürlich auch", erzählt er. Eine Wehr- oder Dienstpflicht würde dabei helfen, leichter Personal zu gewinnen, glaubt der Oberstabsfeldwebel.

Högl gegen Wiedereinführung der "alten" Wehrpflicht

Die Wehrbeauftragte der Bundesregierung sieht das anders. "Die alte Wehrpflicht, die 2011 ausgesetzt wurde, wo ein ganzer Jahrgang junger Männer eingezogen wurde zur Bundeswehr, die will, glaube ich, wirklich niemand zurück. Und darauf wäre die Bundeswehr auch gar nicht ausgerichtet und da wäre sie auch überfordert", sagt sie. Es fehle an Uniformen, Ausbildern und Stuben. In den vergangenen Jahren sein gespart worden und die Streitkräfte seien heruntergefahren worden, auch in den Armeen der Verbündeten in NATO und EU. Aus Högls Sicht müsse jetzt vor allem mehr Geld in die maroden Strukturen der Bundeswehr investiert werden. So könne man wieder gute Anreize schaffen – mit Freiwilligkeit statt Zwang.

Im Video: Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Eva Högl im Kontrovers-Interview

Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages im Kontrovers-Interview
Bildrechte: BR / Kontrovers
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Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages

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